Straßgräbchen-Bernsdorf (Oberlausitz) — Hoyerswerda
Zeißholzbahn
Vorgeschichte und Bau
Eine direkte Eisenbahnverbindung zwischen Straßgräbchen-Bernsdorf und Hoyerswerda? Manch einer wird erstaunt sein, da der für etwa 50 Jahre bestehende Schienenweg nie in den Kursbüchern auftauchte und die "Zeißholzbahn" nur regional bekannt war. Im Jahr 1863 begannen die Gebr. Hoffmann in einer ehemaligen Maschinenfabrik im Norden von Bernsdorf mit der Glasherstellung (später als "Alte Hütte" bezeichnet, ab 1872 Aktiengesellschaft). Der Abtransport der Erzeugnisse mit Pferdefuhrwerken erwies sich nach einigen Jahren als zu aufwändig und teuer. Ein Eisenbahnanschluss vom 1874 eröffneten Bahnhof Straßgräbchen sollte Abhilfe schaffen. Die Betreiber der Glashütte pachteten dazu 1882 von der Stadt Kamenz 14 453 mē Wald zur Anlage eines Gleises. Die Strecke begann an einer Wagendrehscheibe am Bahnübergang der heutigen B 97 in Bernsdorf und führte auf den ersten 1,5 Kilometern parallel zur Straße. Etwa in der Ortsmitte, in Höhe des Zollhauses, wechselte das Gleis auf die Straße und verlief auf deren rechter Seite in Richtung Ortsausgang bis zur Glasfabrik "Alte Hütte". Abgesehen von einer Dammschüttung mit Brücke über den Saxoniagraben gab es keine nennenswerten Kunstbauten. Den Transport der Güterwagen übernahmen vorerst Pferde. Seit 1868 förderte man in der Grube Friedrichsglück bei Zeißholz Braunkohle im Tiefbau. Aus der Grube entwickelte sich 1871 das Braunkohlenwerk Saxonia. Um 1883 wurde die Werkbahn der Glashütte ca. 3,5 km bis zum Grubengelände verlängert, das mitten im Wald lag. Der zu Beginn noch bestehende Pferdebahnbetrieb wurde später zu Gunsten von Lokomotiven aufgegeben. Ab 1887 besaß das Braunkohlenwerk eine eigene Brikettfabrik, die sogenannte Salonbriketts für Berlin und andere Großstädte herstellte.
Nur knapp drei Kilometer östlich von Saxonia, nahe Zeißholz, existierte seit 1870 die Grube Amalia, in der man Kohle im Tief- und Tagebau gewann. Nach der Inbetriebnahme einer Brikettpresse im Juli 1881 war auch hier ein Gleisanschluss erforderlich geworden. Aufgrund der verschiedenen Bergbau-Gesellschaften kam es trotz der Nähe beider Anlagen dazu, dass das Braunkohlenwerk Amalia ab 1887 eine eigene 600-mm-spurige Werkbahn anlegte, die "Scheckthalbahn". Diese führte in nördlicher Richtung über Bröthen zum Bahnhof Hoyerswerda und endete dort nach 7,8 km in einem Rechtsbogen an den Verladeanlagen. Am 29.10.1888 nahm die Bahn, auf der ebenfalls Pferde die Kohleloren zogen, ihren Betrieb auf. Im Folgejahr wurde die Strecke um 1,6 km zur Glashütte im sächsischen Scheckthal verlängert, wo sich auch eine Verladestation mit Seilbahn zum Grauwackebruch Oßling befand. Ab September 1889 gab es im Sommer an Sonn- und Feiertagen sogar einen öffentlichen Personenverkehr. Im Jahr 1891 stellte man die Strecke auf Lokomotivbetrieb um. Wahrscheinlich erhielten in diesem Zusammenhang die Ziegeleien Weist, Lorenz und Stegmann Zweiggleise zu ihren Werken in Bröthen und Michalken. Die Ziegelei Stegmann besaß schon um 1890 eine Feldbahnstrecke von 600 m Länge. Im Jahr 1904 stellte die Amalia-Grube ihre Kohleförderung und damit den Schmalspurbetrieb ein. Zwei Jahre später wurde auf Initiative der "Hoyerswerda-Osslinger Hartstein- & Schotterwerke G.m.b.H. zu Liebenwerda" die gesamte Strecke auf Regelspur umgebaut. Der Erläuterungsbericht für den Streckenausbau stammt vom Dezember 1905. Am 30.05.1906 erhielt das Unternehmen die Bau- und Betriebsgenehmigung. Unter Verwendung gebrauchter Schienen wurde weitgehend die Schmalspurtrasse genutzt. Die Bögen mussten auf den Mindestradius von 180 m aufgeweitet und das Planum der Dämme und Einschnitte verbreitert werden. Die neue Einbindung in Hoyerswerda erfolgte nunmehr in einem engen Linksbogen in Höhe des späteren Stellwerks W4. In Scheckthal und Hoyerswerda stand jeweils ein Fachwerk-Lokschuppen. Die Abnahme erfolgte am 14.08.1906, die Inbetriebnahmeerlaubnis wurde am 27. August erteilt. Der Streckeneigentümer hatte aber bereits drei Wochen zuvor erste Steintransporte durchgeführt. Im Jahr 1909 erwarb die "Eintracht Braunkohlenwerke und Brikettfabrik A.G." die Zeißholzer Grubenfelder und begann mit der Erschließung der Grube Clara III sowie dem Aufbau einer Brikettfabrik. Die Anlagen gingen 1911 in Betrieb. [2],[4],[5],[6],[7],[9],[13],[15]
Betrieb und Stilllegung
Mit dem gestiegenen Transportaufkommen bot sich an, beide regelspurige Teilstrecken miteinander zu verbinden. Dies erfolgte 1909/10, indem man ein 4,5 km langes Teilstück zwischen der Saxonia-Grube und dem Zeißholzer Werk ergänzte. Den Bau führte die Senftenberger "Döring & Lehmann A.G. für Bergwerks-, Erd- und Bauarbeiten" aus. Die schwierige Topografie bei Zeißholz erforderte einen 12 m tiefen Geländeeinschnitt. Die Abnahme der Strecke fand am 22.03.1910 statt. In Straßgräbchen wurde der Streckenabzweig verändert und die Wagendrehscheibe durch eine dreigleisige Übergabegruppe am späteren Stellwerk B1 ersetzt. Die einst kostengünstige Trassierung in der Ortslage Bernsdorf erwies sich nun als Hindernis, so dass eine Umgehungsbahn östlich des Ortes angelegt wurde. Da die Glasfabriken an der Hauptstraße aber weiterhin bedient werden mussten, bestand die alte Gleisführung noch durchgehend bis 1927, danach in Form längerer Anschlussgleise. Bei der Pflasterung und Verbreiterung der Bernsdorfer Hauptstraße 1927/28 entfernte man den entbehrlich gewordenen Streckenteil. Eine andere Erweiterung der Bahnanlagen gab es im Norden von Bernsdorf. Die Strecke führte dort durch ein Teichgebiet südlich der 1870 als Ludwigshütte eröffneten Zinkweißfabrik. Um 1905 erhielt das Werk ein Anschlussgleis, das 1911 verlängert und beidseitig in die Strecke eingebunden wurde. In dieser Form bestand der Anschluss bis Anfang der 1930er Jahre. Das Braunkohlenwerk Saxonia stellte bereits 1912 die Förderung ein. Im Mai des Jahres wurden die Gebäude abgebrochen und der Gleisanschluss verschwand bis auf ein kurzes Reststück. Der Oßlinger Steinbruch schaffte um 1920 den aufwändigen Seilbahnbetrieb ab und verlegte eine ca. 1,5 km lange Feldbahn zum Abbaugebiet. Im Jahr 1934 endete der Tagebaubetrieb in Zeißholz. Um die dortige Brikettfabrik weiterhin mit Kohle versorgen zu können, errichtete man eine 900-mm-spurige Werkbahnstrecke zum Tagebau Werminghoff (Knappenrode).
Der Ausbau des Kohlebahnnetzes nach dem Zweiten Weltkrieg führte dazu, dass zwischen Zeißholz (Abzweig Heide-Wechsel) und dem Abzweig Pechteich auf 2,2 km Länge ein Dreischienengleis entstand. Seit 1947 teilten sich die regelspurige Zeißholzbahn und die 900-mm-spurige elektrifizierte Kohlebahn die Trasse. Um 1950 lief die Kilometrierung der Strecke noch von Hoyerswerda aus, was sich vermutlich nach der offiziellen Übernahme durch die Deutsche Reichsbahn am 01.04.1954 änderte. Zum Personenverkehr auf der Strecke gibt es nur wenige Informationen. Auf der Saxonia-Grubenbahn soll in den Güterzügen ein Reisezugwagen mitgelaufen sein. Nach der Einführung des durchgehenden Betriebes zwischen Straßgräbchen und Hoyerswerda und dem Aufbau der Zeißholzer Brikettfabrik dürfte ein beschränkter Personenverkehr für Werksangehörige bestanden haben. Anfang 1926 versuchte die Gemeindeverwaltung, mit einer Zusage von jährlich 3 000 M den Werksverkehr öffentlich zu gestalten. Die neuen Haltepunkte standen schon auf dem Papier fest. Im Juni des Jahres lehnte die Reichsbahn als Aufsichtsbehörde das Vorhaben jedoch ab. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs fand eine öffentliche Personenbeförderung statt. Aus den Nachkriegsjahren finden sich weitere Aufzeichnungen zur Thematik. Die DR übernahm 1952 vom Braunkohlenwerk Knappenrode die Betriebsführung auf der Strecke und war daran interessiert, die hinderliche Personenbeförderung so bald wie möglich einzustellen. Der Termin wurde mehrmals verschoben. In einem "Hilferuf der Zeißholzer Kumpel" vom Juni des Jahres hieß es: »Abseits von Verkehrswegen und Eisenbahnstrecken liegt im Kreis Hoyerswerda das Braunkohlenwerk Zeißholz O/L. Ein Viertel Jahrhundert lang wurde an den nach beiden Versandbahnhöfen in Richtung Hoyerswerda und Richtung Bernsdorf-Straßgräbchen fahrenden Kohlenzug der Normalspurbahn ein Personenwagen zur Beförderung der Kumpel und deren Angehörigen angehängt. [...] Durch die erhöhten Anforderungen an die Werksbahn infolge Erhöhung der Wagenumlaufzahl [...] wurde zur Sicherheit der Menschen die Personenbeförderung in der bisherigen Form von der Reichsbahn als Überwachungsorgan und von der Arbeitsschutzbehörde mit Wirkung vom 1. Juli 1952 untersagt. [...] Der Kumpel von Zeissholz fragt mit Recht, ob er wieder, wie vor 50 Jahren zu Fuss nach der Kreisstadt tippeln soll, oder ob dieses Mal die Amtsschimmel etwas schneller laufen werden und doch noch vor dem 1. Juli für eine geregelte Fahrmöglichkeit Sorge tragen.« Die Einstellung des Personenverkehrs erfolgte dann zum 01.08.1952. Unter Verwaltung der Reichsbahn erscheint die Gleisverbindung auch in den Direktionskarten. Der Betriebsbahnhof Zeißholz erhielt Unterkunftsräume für einen Fahrdienstleiter. Der Abschnitt Zeißholz - Bröthen wurde 1959 stillgelegt, aber erst Mitte der sechziger Jahre zwischen km 9,273 und 13,60 abgebaut. Die Anschließer in Bröthen und Michalken bediente man weiterhin von Hoyerswerda aus. Die Kreuzung des Anschlusses der Bröthener Ziegelwerke mit der B 97 entfiel durch den Neubau einer zweigleisigen Kopf- und Seitenladerampe. In den 1980er Jahren plante man vmtl. eine Oberbauerneuerung mit altbrauchbaren Gleisjochen des am Haltepunkt Weixdorf (Strecke Dresden-Klotzsche - Straßgräbchen-Bernsdorf) abgebauten Kreuzungsgleises. Das Material blieb bis zuletzt ungenutzt im Zeißholzer Einschnitt liegen und wurde erst im Rahmen eines illegalen Rückbaus von 3 km Streckengleis im März/April 2005 "einer Verwertung zugeführt". Die Strecke soll zuvor von der ROP Roth AG übernommen worden sein ...
Ende November 1992 ging in der Brikettfabrik Zeißholz - einem der wenigen Arbeitgeber der Region - für immer das Licht aus. Die technischen Anlagen und Gleise wurden in den folgenden fünf Jahren demontiert, die Gebäude abgerissen. Die von einem Dresdner Eisenbahnfreund organisierte Fahrt einer VT-Garnitur (772 129/972 729) am 19.07.2002 war das letzte große Ereignis auf der Zeißholzbahn. Im Juni 2004 wurde der Bahnübergang der Kamenzer Straße aufgrund seines baulichen Zustandes entfernt, weitere Bahnübergänge der stillgelegten Streckenteile folgten. Die verwaisten Übergabegleise in Straßgräbchen-Bernsdorf werden noch gelegentlich von den Fahrzeugen der Oßlinger Werkbahn genutzt. [1],[3],[4],[6],[7],[8],[9],[10],[11],[12],[14]
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Quellen
[1] Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden: Bestand 11384 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Wirtschaft, Signatur 4178
[2] Sächsisches Staatsarchiv - Staatsfilialarchiv Bautzen: Bestand 50018 Landratsamt Hoyerswerda, Signatur 525
[3] Raschinsky: "Eisenbahnen um Kamenz", Verlag Kenning, Nordhorn 1998
[4] Meusel: "Geschichte der Stadt Bernsdorf, Band I und II", Stadtverwaltung Bernsdorf, Bernsdorf 2000/2003
[5] Gärtner: "Aus der Hoyerswerdaer Eisenbahngeschichte", Deutsche Bahn AG, Hoyerswerda 1998
[6] Regionaler Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien: "Braunkohlenplan als Sanierungsrahmenplan f"r die stillgelegten Tagebaue im Raum Zeißholz", Bautzen 2004
[7] Heinrich: "Rohstoffgewinnung im Raum Hoyerswerda" in "Sächsische Heimatblätter", Heft 4/1998
[8] Kuhlmann: "Stillegungen und Eröffnungen von Bahnen im Lausitzer Revier" in "Verkehrsgeschichtliche Blätter", Heft 3/2002
[9] Rasemann: "Die Hauptbahn Kohlfurt/Wegliniec - Hoyerswerda", Verlag Graphische Werkstätten Zittau, Zittau 2025
[10] Informationen von K. Ludwig
[11] Informationen von M. Schimm
[12] Informationen von T. Pohl
[13] Informationen von J. Körner
[14] www.bernsdorf-ol.de
[15] www.ossling.de
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